2020 Gezeitentörn

Nach all der Theorie (SSS, SHS) wollten wir (Michael, Peter und Jens) es mal praktisch erleben, d.h. unter Anleitung im Gezeitenrevier segeln. Über Wilfried Krusekopf (u.a. „Segeln in Gezeitengewässern“) konnten wir einen Törn mit Skipper an der nördlichen Bretagne buchen. Vom 11. bis 18. September, nah an der Tag- und Nachtgleiche im Herbst, mit dem größtmöglichen Tidenhub sollte unser Törn von Staint Malo starten.

Zuvor bangendes Warten. Die Normandie/Bretagne wurde nicht zum Corona-Risikogebiet erklärt und so fuhren wir am Freitag gegen 05:00 Uhr von Berlin ab. Perfektes Timing, etwas Glück, kein Stau und nach 3x Fahrerwechsel kamen wir nach gut 1400 km gegen 18:30 Uhr in Saint Malo an. Wir fanden die „Shanti Nagar“, eine Oléa 44 mit Skipper Félix im Hafenbecken „Bassin Duguay Trouin“.

Nach Begrüßung durch Félix-Yann und seiner Frau Rómi, bezogen wir noch schnell die Kojen. Wir entschieden die Frage nach Kultur&Segeln oder Segeln natürlich zugunsten des Segelns in der Annahme eine aktive Törnplanung mit den Gezeiten zu trainieren. Kurse in Richtung England und somit auch zu den Inseln Jersey oder Guernsey fielen Coronabedingt aus, aber die Küste der Bretagne versprach ausreichend Abwechslung. 
Zum Abendessen gingen wir gemeinsam in ein Restaurant, soweit ein gelungener Auftakt.

Am Samstag-Vormittag war Einkaufen angesagt, erst in den Bio-Laden und dann noch Kontrastprogramm im Lidl. Nachdem alles verstaut war, bekamen wir Rettungswesten mit neuen AIS Sendern und eine kurze Einweisung zum Schiff.
Nach unserer Rechnung hatten wir beim Alter der Gezeit: MID, Tidenhub ca. 3m. Vom Hafenbecken mussten wir noch durch eine Klappbrücke, bevor wir gegen 13:00 Uhr in die Schleuse einfuhren. Es gab keine Festmacher im Becken, die Leinen wurden an die Schleusenwärter übergeben und mitgeführt. HW 13:56 Uhr mit 8,4m, d.h. wir segelten noch gegen die restliche Flut aus der Bucht von Saint Malo. Bei wenig Wind setzten wir gleich den Code0, der dann leider ein Untiefentonne verdeckte, Ups …

Alle zusätzlichen Segel wie Code0, Spi, kleine Fock waren auf der Oléa in extra Säcke verstaut und auf dem Deck festgezurrt. Schön breites Laufdeck aber es gab keinen Plotter an Deck sondern nur am Kartentisch.
Kreuzen in Rtg. NO mit Code0 (ca. 100m2) war schon etwas ungewohnte Arbeit.

Es dauerte bei dem geringen Wind bis wir aus der Bucht waren. Dafür Sonne pur – ein schön gemütlicher Segeltag. Wir schafften es mit Motorunterstützung bis nach Erquy, süd-westlich von St. Malo und verbrachten die Nacht an einer Boje.

Als wir an der Boje festmachten, hatten wir noch gut Wasser unter dem Kiel (LAT ca. -2,0m).

Félix erledigte die Navigation mit dem Programm „Adrena First“ ausschließlich am PC.
Wir erlebten einen schönen Tagesausklang.
Tagesdistanz: 22sm

Sonntag, der 13. September, HW 03:00 / ca. 8,5m und NW 09:30 / ca. 5,0m
Als wir gegen 10:00 Uhr aufbrachen, hatten wir bei einem Tiefgang von 2m noch 70cm Wasser unter dem Kimmkiel.

Wegen der vorhergesagten Windrichtung blieben wir auf Westkurs. Es sollte eigentlich ca. 8kn Wind geben, aber Fehlanzeige. Auch in den folgenden Tagen irrte sich der Windfinder regelmäßig. Ganz früh etwas Wind, dann Flaute bis um die Mittagszeit.
Nach gut 3 Stunden kamen endlich 5 kn Wind auf. Der Wind drehte etwas und wir wechselten von Code0 auf den Spi.
Ein A2 Spi, der einfach am Bugspriet ohne Baum gefahren wurde. Bis 10° vor dem Wind ging das echt super! Ein Turbo mit ca. 170m2.

Es lief am Nachmittag so gut, dass wir das Tagesziel die Il de Brehat liegen ließen und die Küste weiter westwärts segelten. Halsen mit Spi, Bergesack runter, andere Schot anschlagen und Sack wieder hoch. Kein Problem bei dem geringen Wind und wenig Welle. Nur die Dünung ca. 50cm lief gegen den Wind. Eine lange Welle, die wohl von dem Tiefdruckgebiet in SW stammte.
Die Ansteuerung von Port Blanc war etwas aufwendiger. Da es keinen Plotter an Deck gab, ging Félix ging immer wieder an den Navitisch und korrigierte den Autopiloten. Also 80% der Strecke segelten wir mit dem Autopiloten. Ich fing an Félix über die Schulter zu schauen und ließ mir das Programm erklären. Kurz vor Port Blanc wechselten wir auf die Genua. Es ging unter Segel in die Bucht. Ich kriegte den Mooring Hook in die Hand. Dann schießen wir knapp am Heck von 3 Seglern vorbei. Kurzer Gruß, Vorsegel eingerollt, Aufschießer, Mooring Hook Einsatz und wir lagen fest an der Boje. Super Manöver!!!
Die Bucht fällt bei starkem Niedrigwasser nicht völlig trocken, d.h. die Bojen sind mit gut 5m Tiefe immer erreichbar.
Tagesdistanz: 40sm

Montag. 
Wir wollten nach Roscoff. Ebbe war Vormittag, von Ost nach West.
Early Morning Sail, wir verließen den Liegeplatz gegen 07:30 Uhr und segelten noch mit etwas Wind aus der Bucht von Port Blanc. Dann Flaute.
Gegen Mittag kam wie üblich etwas Wind und ab 5kn konnten wir den Spi nutzen. Wir übten etwas Kurs halten in der Dünung bis uns der Autopilot ablöste. Unterwegs sahen wir ein paar Delphine.
Bisher einfache Strömungsnavigation. Wir starteten entweder gegen die abnehmende Flut um im Tagesverlauf die Ebbe zu nutzen oder direkt mit der Ebbe. In westlicher Richtung gab es kaum seitlich setzende Strömung. Viele Häfen sind aufgrund des relativ hohen Wasserstands i.d.R. gezeitenunabhängig erreichbar.
Mit Hilfe des Buches „Segeln in Gezeitengewässern“ versuchten wir, den in Frankreich üblichen Koeffizienten zu verstehen. Es ist ein relativer Faktor bezogen auf den maximalen Tidenhub an einem Ort. Mit entsprechender Ortskenntnis kann man relativ schnell die Verhältnisse abschätzen.

Wir passieren die Küste mit den roten Granitsteinen und erreichen die Marina in Port Roscoff gegen 18:00 Uhr. Der Hafenmeister hatte gerade noch auf, aber der Shuttle Service zum Supermarkt ging nicht mehr. Also liefen wir die gut 1,5km zu Fuß. Ganz schöne Schlepperei zurück …
Der Hafen ist sehr modern. Super Sanitäranlagen und wir konnten endlich Duschen. Nur der 3 Tagebart blieb stehen ;-).
Der Tidenhub war inzwischen beachtlich größer geworden. Bei Ebbe hatte der Zugang zu den Stegen fast 45° Neigung!!
Tagesdistanz: 30sm

Dienstag. Bislang hatte uns die Sonne verwöhnt. Aber jetzt bekamen wir das südlich liegende Tiefdruckgebiet doch noch zu spüren. Es regnete die ersten 3 Stunden auf dem Wasser.
Wir starteten zeitig und fuhren bei wenig Wind ca. 2 Stunden mit Maschine gegen die Strömung, um später die Flut nutzen zu können. Unser Tagesziel war die „Il de Brehat“.
Das Adrena First Programm ist super. Es bietet alle Informationen auf Basis von amtlichen Karten, überlagert mit Strömungsinformationen.
Bezogen auf markante Punkte, kann man sich jederzeit den Tidenhub anzeigen lassen. Neben der klassischen Navigation muss man praktisch nur noch den Luftdruck und die Welle berücksichtigen.

Fast 4 Stunden kein Wind, erst gegen Mittag kam der Wind und wir konnten mit dem Spi etwas Fahrt machen. Das Wetter wurde besser, die Sonne kam wieder raus und später wurden es mit dem Strom bis zu 7 kn über Grund.
Um die Einfahrt in die Il de Brehat zu treffen, fuhren wir eine Halse in der Nähe der To. VQ. Es ging von 70° auf 130°, quasi auf Kollisionskurs mit dem Leuchtfeuer „Les Heaux de Brehat“ aber wegen dem quer setzenden Strom (ca. 2,7 kn) wurden wir um die Insel herumgeführt. Navigation nach Strömungsdreieck#2, dazu galt es den richtigen Punkt für die Halse zu finden, um mit möglichst wenig Korrektur am Wegpunkt anzukommen. Die Untiefen um das Leuchtfeuer waren keine Gefahr, dafür sahen wir an deren Stelle deutliche Strudel. Kein Problem für uns.

Wir ankerten fast bei Hochwasser auf der Südseite der Insel in einer Bucht nahe des Port du Guerzido. Der Ankerplatz war so gewählt, dass er den Tidenhub von ca. 9m aushielt. 40m Kette gingen runter.
Tagesdistanz: 45sm

Am nächsten Tag hatten wir Zeit. Wir warteten auf die Flut. Es war etwas ungemütlich kalt, nebelig und so verzichteten wir auf einen Einkaufstrip per Schlauchboot.
 Eine große Delphinschule zog an uns vorbei, die wir später am Tag noch einmal sahen. Der Plan für heute war Saint-Cast-le-Guildo.
Coef: 84 an der Il de Brehat, d.h. HW gegen 06:50 mit 9,7m und NW erst 13:10 mit 2,0m – also warten. Kurz vor dem Tidenwechsel brachen wir auf. Wieder Navigation nach Strömungsdreieck #2. Es galt den Strom zu berücksichtigen, so dass wir knapp am Cap Frehel ankamen.
Es blieb den ganzen Tag nebelig, die Sicht war teilweise unter 3sm.
Am Cap Frehel hatten wir über 3kn achterlichen Strom, Kabbelwasser, erst mit der Halse wurde es wieder ruhiger im Boot. Die Burg „Point de la Latte“ war nur im Nebel zu erahnen.

Gegen 18:30 Uhr legten wir in Saint Cast an.
Tagesdistanz: 34sm

Donnerstag.
 Ein Hoch schob sich zwischen die Tiefdruckgebiete. Im Ärmelkanal sollte es starken Wind geben und später gab es eine Sturmwarnung für den nördliche Teil des Golf von Saint Malo.

Niedrigwasser war erst zum Nachmittag und wir wollten auf die Flut warten, um in Richtung Il de Chausey zu starten. Zeit um einzukaufen, d.h. endlich bekommen wir Whiskey-Nachschub.
Wir verließen den Hafen von Saint Cast etwas früher gegen 12:30 Uhr, da die Karte eine Mindertiefe von 1 Meter in der Einfahrt angab. Tatsächlich hatten wir trotz Ebbe noch gut 6 Meter Tiefe in der Fahrrinne.
Wir hatten vor in einer Bucht zu ankern, um den kippenden Strom abzuwarten. Der Anker streikte plötzlich und ließ sich nur noch manuell fieren. Die Winde funktionierte zum Glück noch zum Aufholen. Um 14:30 ging der Anker hoch und wir waren quasi gleichauf mit Seglern, die die letzten zwei Stunden versucht hatten, gegen Wind und Strom aufzukreuzen.

Trotz der Sturmwarnung blieb es mit gut 16kn Wind relativ ruhig und wir nahmen das Reff wieder raus. Bis Höhe Saint Malo hatten wir um die 15-18kn Wind und kamen in der Kreuz gut voran.
 Aber je weiter wir dann aus der Bucht rauskreuzten, um so stärker wurde der Wind, in Böen bis zu 32kn. Da der Wind gegen den Strom setzte, baute sich eine beachtliche Welle auf. Eher ein Kabbelwasser, denn die Wellen liefen nicht regelmäßig in eine Richtung. Es war ungewohnt unter diesen Bedingungen den Kurs zu halten, ein Kompromiss zwischen hoch am Wind und Geschwindigkeit. Die Yacht gierte kräftig auch beim Amwindkurs.
 Wir wechselten auf Sturmfock und setzten das 1.Reff.

Wegen dem überkommenden Wasser und des warmen Wetters (27°) waren wir barfuß und in kurzen Hosen im Cockpit.
 Der Ankerplatz an der Il de Chausey war dann doch zu ungeschützt. Daher segelten wir gut 6sm weiter nach Granville. Die Zeit reichte, um über die Schwelle in den Hafen zu kommen. Nur war wieder einmal das Hafenbüro schon geschlossen.
Gegen 20:15 war HW, d.h. später waren wir nicht nur durch die Felsen sondern auch durch die Mole „tief unten“ im Hafenbecken geschützt aber es pfiff in der Nacht noch immer kräftig.
Resteessen und nochmal klönen, dann fielen wir zum letzten Mal in unsere Kojen.

An dieser Stelle möchte ich mich bei Félix und Peter bedanken, die hauptsächlich unsere Verpflegung bestritten.
Tagesdistanz: 38sm

Freitag. Der erste Eindruck am Morgen täuschte. Als wir aus der Abschattung raus waren, hatten wir nochmal richtig guten Wind zum Segeln, Da Wind und Strömung nun in die gleiche Richtung setzten, hatten sich die Wellen beruhigt.
Mit Spi ging es rüber nach St. Malo. Ganz in der Ferne war der Felsen des Mont-Saint-Michel zu erkennen.
Gegen 12:30 liefen wir in die Marina vor der Stadt ein. Die Süll-Wand war noch 3 Meter tief, bei der schnell fallenden Ebbe waren wir also gerade rechtzeitig da.

Heute betrug der Tidenhub zum Abendhochwasser über 12m.
Tagesdistanz: 25sm

Verabredet war eigentlich noch eine Schleusung, aber wir konnten die Yacht hier schon verlassen. Das passte super, da wir (Peter und Jens) kurz durch die Altstadt laufen wollten. Der „Aufstieg“ vom Steg zum Parkplatz war mit dem Gepäck eine sportliche Einlage vor dem Stadtbummel.

Anschließend ging es über die Küstenstraße noch am Le Mont-Saint-Michel vorbei und dann ab nach Hause. Gegen 06:30 Uhr waren wir wieder in Berlin.

Erwartet hatten wir viel Kartenarbeit und Törnplanung am Abend für die Gezeitennavigation. Bekommen haben wir wie auf der Homepage versprochen ein super Törn im Tiedenrevier. Die Navigation habe ich mir sozusagen abgeschaut und bei Félix hinterfragt. Ich denke ich habe es verstanden und würde es beim nächsten Mal also selbst versuchen.
Danke an Félix für die sehr abwechslungsreiche Woche.

und hier noch ein kurzes Video von Peter:


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