Warum wollten wir diesen Segeltörn machen? Nach zehn Jahren des Nichtsegelns war in uns, Carola und Michael, ein tiefes Verlangen erwacht. Ich, Carola, hegte den innigen Wunsch, meinen Segelschein SKS zu erlangen. Was könnte da besser sein als ein Segelabenteuer auf der majestätischen Ostsee? Die Möglichkeit, das Segeln aufzufrischen und Neues zu lernen, erfüllte mich mit großer Sehnsucht.
Der Tag unserer Abreise, der 26. Mai, führte uns von Berlin nach Kröslin, einem idyllischen Ort in Mecklenburg-Vorpommern. Die Fahrt durch malerische Landschaften entfachte ein Feuer der Vorfreude in uns. In der Marina von Kröslin trafen wir auf unseren Guide und Kapitän Jens Raabe, der uns auf seiner “Anja” für einen dreitägigen Segeltörn begleiten würde. Als wir die genaue Position der Yacht erfuhren, verstauten wir schnell unser Gepäck und bezogen unsere gemütliche Koje im vorderen Teil des Schiffes. Der Yachthafen von Kröslin beeindruckte uns mit einem Restaurant, einem Laden und gepflegten Sanitäranlagen. Ferienwohnungen und -häuser verliehen dem Gelände eine einladende Atmosphäre. Am Abend saßen wir in fröhlicher Runde mit Jens zusammen, genossen köstliche Getränke und unterhielten uns angeregt.
Der nächste Tag, der 27. Mai, begann mit einer Sicherheitsbelehrung von Jens, unserem Kapitän. Um 10 Uhr brachen wir nach einem opulenten Frühstück an Deck der „Anja“ von der Marina Kröslin auf, unser Ziel war Wieck bei Greifswald. Das Verlassen des Hafens gestaltete sich knifflig, da Untiefen unsere Aufmerksamkeit erforderten. Die Gewässer waren trickreich, und wir mussten stets auf ausreichend Wasser unter dem Kiel achten. Ein anspruchsvolles Kreuzen war der Auftakt. Vorbei am „Großstubber“ und in Richtung Lauterbach segelten wir zunächst, bevor wir unseren Kurs änderten und mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 4,3 Knoten nach Wieck südwärts segelten. Es dauerte insgesamt sechs Stunden und wir legten 26,8 Seemeilen zurück. Gegen 16 Uhr erreichten wir schließlich Wieck.
Wieck, ein malerischer Ortsteil von Greifswald, mit seinen 472 Einwohnern, empfing uns mit offenen Armen. Das ehemalige Fischerdorf lag an der Mündung des Flusses Ryck in die Dänische Wiek, eine Bucht des Greifswalder Boddens. Die Klappbrücke von Wieck öffnete sich stündlich, um den Booten die Durchfahrt nach Greifswald zu ermöglichen. Wir genossen ein köstliches Abendessen mit Backfisch im Reusenhaus in Greifswald-Wieck und unternahmen anschließend einen kleinen Spaziergang durch die interessanten Gassen in der Nähe des Hafens. Dabei entdeckten wir das imposante Sperrwerk Greifswald-Wieck, das errichtet wurde, um die Stadt vor Sturmfluten zu schützen. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hatte diesen Bau beschlossen, da Greifswald zu den gefährdeten Gebieten an der deutschen Ostseeküste zählte. Das Sperrwerk und die Deichanlagen bildeten ein mächtiges Sturmflutsystem. Wir standen, getaucht in die Abendsonne, vor dieser imposanten Konstruktion und waren beeindruckt.
Am Pier im Hafen von Wieck erblickten wir drei kunstvoll gehauene Holzfiguren, die im Wind „tanzten“ und uns ihre Geschichten zuflüsterten. Zurück auf der „Anja” verbrachten wir einen gemütlichen Abend bei einem herzhaften Getränk und ließen uns von der geselligen Atmosphäre mitreißen. Ein Kartenspiel rundete den Abend ab, bevor wir uns erschöpft und erfüllt in unsere Koje begaben.
Am nächsten Morgen, dem 28. Mai, wurden wir von den goldenen Sonnenstrahlen geweckt, die durch die Luke in unsere Kajüte schienen. Es versprach ein wundervoller Tag zu werden. Wir genossen ein gemütliches Frühstück an Bord der „Anja“ und ließen die Harmonie des Moments auf uns wirken. Um 10 Uhr hieß es Abschied nehmen von Wieck, denn unser Ziel war nun Gager. Jens gab uns eine detaillierte Einweisung in die Ablege Manöver, um sicherzustellen, dass unser Aufbruch ohne Hektik und Stress vonstatten ging. Die Verantwortung des Ablegens wurde mir übertragen, und mit Stolz ergriff ich diese Herausforderung. Rückwärts fuhren wir aus der Anlegebucht heraus, begleitet von einem Gefühl der Euphorie. Dank Jens’ kompetenter Führung verlief alles reibungslos, und ich war überglücklich über meine gelungene Leistung.
Unsere Route führte uns über den Greifswalder Bodden nach Gager. Wir navigierten sorgfältig, um den richtigen Kurs zu halten und die Wassertiefen im Auge zu behalten. Auf unserem Weg passierten wir zwei stillgelegte Bohrinseln, die bereits von Graureihern bevölkert waren. Der Wind wehte aus Nordwesten, und wir segelten mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 3,3 Knoten. Gegen Mittag drehte der Wind plötzlich von Westen nach Norden, und wir waren gezwungen, unsere Segel anzupassen. In diesem Moment wurden wir von der eiligen Yacht „Koala“ überholt, die zusätzlich den Motor einsetzte, um Geschwindigkeit zu gewinnen. Um 15:30 Uhr erreichten wir schließlich Gager. Unsere sechs Stunden lange Reise über 19 Seemeilen war erfolgreich abgeschlossen. Der Hafen von Gager bot ausreichend Liegeplätze, und wir konzentrierten uns auf das besondere Anlegemanöver. Mit geschickten Händen gelang es uns, mit dem Heck rückwärts anzulegen, während das Bug durch eine Boje gehalten wurde. Die Öse der Boje mussten wir mit einer Stange und einem Karabinerhaken einfangen und schnell verschließen. Mit sorgfältig ausgerichteten Leinen war die Anja sicher festgemacht.
Der Hafen von Gager, eingebettet im Südosten Rügens, war ein wahrer Schatz für alle, die die maritime Atmosphäre der Insel erleben wollten. Unter den etwa 20 Häfen auf Rügen ist Gager definitiv ein Highlight. Wir konnten die Fischer in ihrem Alltag beobachten, während das Radio fröhliche Melodien spielte und gute Laune verbreitete.
Unser erster Halt führte uns zu einem Imbiss, wo wir uns ein köstliches Fischbrötchen „auf die Hand“ gönnten. Auf dem Weg dorthin statteten wir den Besitzern der eiligen Yacht „Koala“ einen Besuch ab, die uns zuvor überholt hatten. 😊 Sie hatten an der anderen Seite des Hafenbeckens in Gager angelegt. Anschließend passierten wir die Traditionsecke von Gager, wo alte Fischerrelikte liebevoll präsentiert wurden. Auch wenn wir nichts beizutragen hatten, war ein Foto vor der Traditionsecke ein absolutes Muss. Wir fragten freundlich nach und wurden belohnt, indem wir zu dritt fotografiert wurden.
Nach unserer Stärkung begaben wir uns auf den nahegelegenen Berg, der uns einen atemberaubenden Ausblick auf die Insel Rügen, den Greifswalder Bodden und die Ostsee bot. Von dieser erhöhten Position genossen wir einen fantastischen Rundumblick. Die Aussicht erstreckte sich über Thiessower Haken, Sellin und natürlich Gager sowie Groß- und Klein Zicker.
Das herrliche Wetter und die klare Sicht machten den Moment unvergesslich. Während ein Tanker majestätisch über die Ostsee glitt, hörten wir das beruhigende Blöken der Schafe im Tal, die zum Abend zusammentrieben wurden.
Zurück auf der „Anja“ verbrachten wir einen gemütlichen Abend beim Kartenspielen, begleitet von einem Gläschen nach Seemannsart. Dieses Ritual durfte nicht fehlen.
Am nächsten Tag, Pfingstmontag, dem 29. Juni, brachen wir etwas früher auf und starteten um 9:30 Uhr. Das Segelmanöver verlief reibungslos dank einer vorherigen guten und präzisen Einweisung unseres Skippers, als wir vorwärts aus dem Hafen fuhren. Dabei mussten wir den Karabinerhaken schnell öffnen und die Öse von der Boje lösen, wobei wir darauf achteten, dass die Boje nicht unter das Boot geriet und von der Schiffsschraube beschädigt wurde. Wir setzten die Segel bereits im Hafen, so dass wir ohne Verzögerung ablegen konnten. Unsere Rückreise führte uns nach Kröslin, und wir hatten hauptsächlich Rückenwind, wobei die Segel im Schmetterlingskurs gesetzt waren. Zwischenzeitlich hatten wir Schwierigkeiten, die Fock auf einer Seite zu halten. Jens entschied, den Spi-Baum einzusetzen, um unsere Geschwindigkeit zu erhöhen. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 3,5 Knoten legten wir 14,5 Seemeilen zurück. Die Reise dauerte etwa 4 Stunden, und um 13:30 Uhr erreichten wir Kröslin. Wir legten mit Leichtigkeit an und betrachteten uns stolz über die vergangenen 3 Tage.
Unser Segeltörn auf der Ostsee war ein unvergessliches Erlebnis. Der Greifswalder Bodden, die malerischen Küstenorte und die Freiheit des Segelns hinterließen einen tiefen Eindruck bei uns. Es war eine Reise voller Herausforderungen, aber auch voller wunderbarer Momente der Entspannung und des Genusses.
Mit Jens als kompetentem Kapitän und Guide fühlten wir uns stets sicher und gut betreut. Wir verließen die Anja mit einem wehmütigen Gefühl im Herzen, aber auch mit der Gewissheit, dass wir eines Tages zurückkehren und weitere Abenteuer auf der Ostsee erleben würden.
Michael und Carola